Schlagwort: NS-Dok

Verwaltung mit mörderischen Folgen

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom 14.12.2024

Dies ist meine letzte Kolumne in der Reihe „Brandbriefe“. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal nicht über die gegenwärtige Entwicklung der extremen Rechten oder über neue antisemitische und rassistische Vorfälle zu schreiben. Stattdessen soll es um die zukünftige Entwicklung des NS-Dok als Gedenkstätte gehen, und damit um die Frage, welche Geschichte(n) wir über das EL-DE-Haus und über die Kölner Stadtgesellschaft im Nationalsozialismus erzählen.

In Vorbereitung einer geplanten Neugestaltung der Dauerausstellung und weiterer Publikumsflächen im EL-DE-Haus beschäftigen wir uns derzeit intensiv mit der konkreten Nutzung des Gebäudes durch die Kölner Gestapo. Das Interesse an der Hausgeschichte konzentrierte sich lange Zeit auf das ehemalige Gefängnis im Keller mit den zahlreichen Wandinschriften der Häftlinge. Die darüber liegenden Büroetagen der Gestapozentrale erhielten weniger Aufmerksamkeit. Doch neben Inhaftierung, Folter und Hinrichtungen bestand das Gestapohandeln größtenteils aus bürokratischen Routinen: mit Bürgerinnen und Bürgern, Behörden und anderen Stellen kommunizieren, Akten führen, Karteien pflegen, Listen schreiben. Banal erscheinendes Verwaltungshandeln – mit oft mörderischen Konsequenzen. Seit ich vor zwei Jahren im NS-Dok angefangen habe, beschäftigt mich die Frage, was, wo im EL-DE-Haus geschah. Bisher standen wir vor dem Problem, dass sich aus zwei Mitarbeiterverzeichnissen der Gestapo für 1939/40 zwar nachvollziehen ließ, welche Zimmernummern den Büros der verschiedenen Referate zugewiesen waren. Diese Nummern ließen sich jedoch nicht den Räumen auf den Etagen und Fluren im El-De-Haus zuordnen. Durch den Fund zweier Luftschutzordnungen, in denen für einige Nummern vermerkt ist, auf welcher Etage die zugehörigen Zimmer lagen und ob die Fenster mit Holzrollos ausgestattet waren oder ob für die Verdunkelung Vorhänge angebracht werden mussten, lässt sich dieses Rätsel nun lösen – denn die alten Führungsschienen der Rollos sind noch vorhanden.

So wissen wir jetzt etwa, dass die Leiter der Gestapozentrale, die Organisatoren des Terrors in Stadt und Region, im 1. Obergeschoss nahe dem Treppenhaus an der Elisenstraße ihr Büro hatten – ironischerweise befinden sich dort heute die Teeküche des NS-Dok und ein WC. Die Schreibtische der Gestapo-Beamten, die die Ausgrenzung und Deportation der Kölner Jüdinnen und Juden organisierten, standen im 2. Obergeschoss am Appellhofplatz – in den Räumen der 1997 eröffneten Dauerausstellung, welche die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung thematisiert, sie aber nicht direkt mit dem Haus in Beziehung setzt.

Der Quellenfund ist deshalb so wichtig, weil bei einer Neugestaltung der Ausstellung der historische Ort erzählerisch noch stärker ins Zentrum rücken soll. Dieser Fokus wird kombiniert mit einer Geschichte der Kölner Stadtgesellschaft im Nationalsozialismus, in der das Alltagshandeln und die Erfahrungen der Bevölkerung im Mittelpunkt stehen: Wie haben sich einzelne Deutsche in der NS-Diktatur verhalten? Wie nahmen sie Ausgrenzung und Verfolgung wahr? Wie waren sie daran beteiligt? Und wie erlebten dies diejenigen, die zu Opfern der NS-Gewalt wurden? Die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu betreiben und zu ermöglichen, ist eine Kernaufgabe der Gedenkstätten – hierauf hat auch Jens-Christian Wagner in seiner letzten Kolumne hingewiesen. Im gegenwärtigen politischen Klima geraten die Gedenkstätten verstärkt unter Druck und werden angegriffen, wie wir in den letzten Wochen immer wieder aufgezeigt haben.

Gedenkstätten unter Druck

Diese Angriffe müssen von Politik und Gesellschaft abgewehrt werden. Zugleich müssen aber auch die Gedenkstätten ihre Ausstellungen und Vermittlungsangebote weiterentwickeln, um ihren Aufgaben in einer sich wandelnden Gesellschaft gerecht zu werden. Von Beginn an empfand ich die enge Anbindung des NS-Dok an die Kölner Stadtgesellschaft als große Stärke. Die heutige Stadtgesellschaft ist jedoch zunehmend von Menschen ohne einen engen oder auch jeglichen familiären Bezug zur Kölner NS-Geschichte geprägt. Sie schauen mit anderen Fragen und Interessen auf die NS-Zeit, als die letzte „Erlebnisgeneration“, an die sich die jetzige Dauerausstellung bei ihrer Eröffnung im Jahr 1997 noch stark richtete.

Es braucht ein neues Angebot für das historische Lernen in der postmigrantischen Stadtgesellschaft Kölns, das die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch zukünftig lebendig halten kann. Eine große Aufgabe, an der wir in den kommenden Jahren im NS-Dok arbeiten möchten.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

Die mörderische Ideologie des Antisemitismus

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom 11.9.2024

Die Wahlen in Thüringen und Sachsen liegen jetzt eineinhalb Wochen zurück, aber sie beschäftigen mich und das Team des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln immer noch stark. Wie Jens-Christian Wagner, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, vergangene Woche schrieb, ist der Wahlerfolg der AfD erschütternd und deprimierend. Herr Wagner hat sich vor den Wahlen mit beeindruckender Klarheit und Beharrlichkeit für die Demokratie und gegen Geschichtsrevisionismus eingesetzt – und wird nun massiv bedroht.

Aus dem mehr als vier Fahrtstunden von Buchenwald entfernten Köln, mag manchen die dortige Situation weit weg vorkommen – und tatsächlich bin ich froh, dass wir hier in anderen politischen Verhältnissen leben. Doch auch in Köln erhielt die AfD bei den Europawahlen im Juni erstmals in einem Stadtteil die meisten Stimmen. Und wenngleich nicht so oft wie in Buchenwald, so kommt es auch im NS-DOK immer wieder zu extrem rechten oder antisemitischen Vorfällen. Erst kürzlich hinterließ uns ein Besucher der Dauerausstellung wieder einmal ein akkurat gemaltes Hakenkreuz.

Das NS-DOK und die Gedenkstätte Buchenwald befinden sich beide an historischen Orten. Hier die ehemalige Gestapozentrale der westdeutschen Metropole, dort eines der wichtigsten Konzentrationslager des NS-Terrorsystems. Doch zugleich unterscheiden sich die Orte, historisch wie in ihren Aufgaben. Buchenwald ist heute nicht nur ein Ort der Bildung und des Gedenkens, sondern auch ein Friedhof. Die baulichen Relikte bezeugen die Massenverbrechen. Ihr Erhalt ist eine wichtige, oft wenig beachtete Aufgabe, die viel Geld benötigt. Das NS-DOK liegt als kommunale Einrichtung mitten in der Großstadt und widmet sich mit der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus, der Mobilen Beratung und der Fachstelle gegen Antisemitismus, neben der Geschichte stärker auch gegenwartsbezogenen Fragen.

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle darüber schreiben, was Köln und das KZ Buchenwald historisch verband – anhand von Beispielen, die ab morgen in unserer neuen Ausstellung über „Kritik im Nationalsozialismus“ im EL-DE-Haus präsentiert werden. Doch die ersten Sätze der Kolumne hatte ich vergangenen Donnerstag gerade in den Computer getippt, als uns Meldungen über Schüsse vor dem NS-Dokumentationszentrum München und dem benachbarten israelischen Generalkonsulat erreichten. Kurz darauf erschien die Polizei im EL-DE-Haus, um uns zu informieren, dass sie die Bewachung erhöht.

Wie wir heute wissen, hatte der Täter, wie bei dem furchtbaren Anschlag in Solingen, einen islamistischen Hintergrund. Das Münchner NS-Dokumentationszentrum wurde von zwei Schüssen getroffen. Doch das eigentliche Ziel des Angriffs war wohl die Repräsentanz des Staates Israel, wie sich der Judenhass nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder gegen Israel richtet. Die sozialen Medien waren sofort voller Häme gegen die vielfältige Gesellschaft, voller rassistischer Hetze und Rufen nach massenhafter „Remigration“, dieser verharmlosenden Parole, die nicht zuletzt die Wahlsieger von Thüringen in den letzten Monaten popularisiert haben.

Es steht zu befürchten, dass die Taten von Solingen und München der extremen Rechten weiter Auftrieb geben werden. Dabei sind beide, Islamismus und Rechtsextremismus, unbestreitbar zentrale Bedrohungen für eine demokratisch verfasste Gesellschaft, die auf Menschenrechten und Gleichheitsvorstellungen basiert. Beide haben trotz vieler Unterschiede zudem Gemeinsamkeiten – nicht zuletzt die mörderische Ideologie des Antisemitismus.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

 

© 2024

Theme von Anders NorénHoch ↑