Monat: November 2024

Traurigerweise Normalität

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom
30. November 2024

In seiner letzten Kolumne schrieb Jens-Christian Wagner über ein wichtiges Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar zur Abweisung einer Klage der AfD gegen die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Er erwähnte, dass auch Lehrer*innen aufgrund vermeintlicher Verletzungen des Neutralitätsgebots im Fokus der Partei stehen.

Passend hierzu berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am vergangenen Mittwoch über Vorgänge im NRW-Landtag, wo die AfD in den letzten Monaten eine Reihe kleiner Anfragen zum Verhalten des Lehrpersonals an Kölner Schulen gestellt hat. Den Anlass bildeten Proteste gegen AfD-Parteitage in den Schulen, aber auch eine Nichteinladung der Partei zu einer Diskussionsrunde im Vorfeld der Europawahl.

Fragen nach der Weitergabe von Informationen über einen Parteitag in einer Schule an Eltern und Schüler*innen, nach einer möglichen Beteiligung von Lehrer*innen am „Basteln von ‚Anti-AfD‘-Plakaten“ und zuletzt sogar nach den Namen von Lehrer*innen, die an einer bestimmten schulinternen Sitzung teilgenommen hatten, zielen darauf, disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen diejenigen zu erwirken, denen man Verstöße gegen das Neutralitätsgebot vorwirft. Eine Elterninitiative der betreffenden Schule erkennt dahinter die Absicht, diese und andere Schulleitungen und Lehrerkollegien zu verunsichern. Sie sollen nicht nur davon abgehalten werden, mit ihren Schüler*innen über solche Parteitage in den eigenen Räumen zu sprechen und die Frage der Verfassungsfeindlichkeit der Partei zu diskutieren. Selbst die bloße Weitergabe der Information über eine entsprechende Veranstaltung soll verhindert werden. Proteste im Vorfeld und am Tag selbst wären damit faktisch unmöglich.

Die Klage gegen die Gedenkstätte Buchenwald und die Anfragen im NRW-Landtag können als Beispiele für eine Strategie begriffen werden, durch das Vorgehen gegen einzelne Personen eine diskursive und praktische „Normalisierung“ der Partei herbeizuführen. Der vom Verfassungsschutz im Bund als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ und in einigen Bundesländern als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Partei geht es darum, mit ihren politischen Forderungen in der Bevölkerung als „normal“ wahrgenommen und von staatlichen oder staatlich geförderten Einrichtungen – Schulen, aber auch Gedenkstätten – wie eine demokratische Partei behandelt zu werden. „Deutschland. Aber normal“ lautete der Slogan zur Bundestagswahl 2021, der nach wie vor auf vielen Artikeln prangt, die über die Website des „Fanshops“ der AfD bestellt werden können.

Was viele Menschen in diesem Land traurigerweise für normal zu halten scheinen, macht die vor zwei Wochen veröffentlichte neue Leipziger Autoritarismus-Studie deutlich. Eine steigende Zahl von Menschen steht der Demokratie ablehnend gegenüber. Rassistische und antisemitische Aussagen finden gerade auch in West-Deutschland immer mehr Anklang. Schon seit mehreren Jahren teilen etwa 60 Prozent der Befragten die Auffassung, dass man sich „lieber gegenwärtigen Problemen“ widmen solle, statt der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. „Und 17 Prozent hielten es – trotz oder vielleicht auch wegen des NS-Vokabulars in der vorformulierten Aussage – für eine gute Idee, wenn es in Deutschland „eine einzig starke Partei“ gäbe, „die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert. Weitere 21 Prozent stimmen dieser Aussage wenigstens teilweise zu

Dieses politische Klima bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Erinnerungskultur zu Nationalsozialismus und Holocaust und damit auch auf die Gedenkstätten. Das zeigen auch die jüngsten Vorfälle aus Köln: Über die Kommentarfunktion zum digitalen Gedenkbuch der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus auf der Website des NS-Dokumentationszentrums, die dazu gedacht ist, Wissen zu teilen, erhielten wir kürzlich extrem beleidigende Nachrichten, in denen einzelne Ermordete herabgewürdigt und ihr Tod belacht wurde. Und am Kölner Hauptbahnhof wurde in der vergangenen Woche das Mahnmal „Die Schwelle“, das an die Deportation der Juden unter der Mitwirkung der Reichsbahn erinnert, aus der Verankerung gerissen und so stark be-schädigt, dass es vorerst abgebaut werden musste.

Angesichts dieser Gesamtsituation ist es umso wichtiger, dass die Gedenkstätten in Deutschland, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden oder – wie das NS-Dok – selbst Teil der öffentlichen Verwaltung sind, sich durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar darin bestärkt sehen können, sich auch politisch zu äußern, wenn es den Kern der eigenen Arbeit betrifft.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

 

 

 

 

 

Gedenken kann nicht unpolitisch sein

Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 23.11.2024

Systematisch versucht die AfD, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die sich gegen ihre rassistischen und geschichtsrevisionistischen Parolen positionieren, mit Verweis auf das parteipolitische Neutralitätsgebot einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das gilt etwa für Lehrerinnen und Lehrer, auf die auf von der Partei eingerichteten Meldeportalen aufmerksam gemacht werden soll, wenn sie sich gegen die AfD geäußert haben.

Auch Beschäftigte von Gedenkstätten versucht die AfD immer wieder mit Verweis auf das Neutralitätsgebot einzuschüchtern und von einer klaren Haltung gegenüber ihren geschichtsrevisionistischen und Holocaust-verharmlosenden Positionen abzubringen. Diese Versuche hat das Verwaltungsgericht Weimar nun erfreulich deutlich zurückgewiesen: Es schreibt, die Gedenkstätten seien „berechtigt, in aktuelle Diskussionen zu den Opfern, deren in den Gedenkstätten (…) gedacht wird, einzutreten und selbst zu allen Fragen im Zusammenhang mit den Opfern und zu der Gestaltung der Erinnerungsarbeit Stellung zu nehmen.“ Dabei dürften sie „auch Äußerungen Dritter, die das Gedenken und Erinnern an die Opfer berühren, bewerten und einordnen. Eine solche Einordnung kann nicht neutral erfolgen, sondern setzt das aktive Eintreten für die Opfer voraus.“

Und weiter: „Aus dem Stiftungszweck ergibt sich die Befugnis der aktiven Ausgestaltung des Gedenkens in Form der sachlichen Einordnung und Bewertung politischer Äußerungen, die einen Bezug zu der Würde der Opfer haben.“ Gedenkstätten seien „die Stimme der Opfer, die selbst nicht mehr aktiv an der Erinnerungsarbeit teilnehmen können“ (Beschluss des VG Weimar vom 6.11.2024, AZ: 8 E 1652/24 We).

Anlass war die Klage der AfD gegen einen Brief, den die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vor der Landtagswahl als Postwurfsendung an ältere Bürgerinnen und Bürger in Thüringen geschickt hatte. Das Schreiben informierte sachlich darüber, wie die Thüringer AfD systematisch versucht, die Schrecken des Nationalsozialismus kleinzureden, die NS-Sprache wieder salonfähig und die Erinnerungskultur verächtlich zu machen.

Unmittelbar nach der Verteilung der ersten Briefe setzte über Social Media eine Desinformationskampagne der Thüringer AfD ein. Dabei wurde wahrheitswidrig behauptet, die Stiftung habe für den Brief Steuermittel missbraucht, sie habe gegen den Datenschutz verstoßen (indem sie sich illegal die Adressen der älteren Thüringer beschafft habe) und sie habe gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Tatsächlich wurden für die Verteilung der Postwurfsendung in einer Auflage von 350.000 Stück in ganz Thüringen ausschließlich Spendenmittel des Vereins campact verwendet, der auch den Versand über die Deutsche Post organisierte. Letztere hat pauschalisierte Verteiler zu Haushalten angenommener bestimmter Zielgruppen; in diesem Fall die Gruppe Ü 65 in Thüringen. Folge der Desinformation der AfD war ein „Shitstorm“ von beschimpfenden Emails, Anrufen und analogen Schreiben, die die Stiftung und ihre Mitarbeiter:innen erreichten. Dazu gehörten auch mehrere Mails bzw. Briefe mit Morddrohungen gegenüber dem Stiftungsdirektor („ein Galgen, ein Strick, ein Wagnergenick“). Und es ging eine Klage der Thüringer AfD beim Verwaltungsgericht Weimar auf Unterlassung ein. Diese Klage hat das Gericht nunmehr im Grundsatz zurückgewiesen. Lediglich einen Halbsatz in einem erläuternden Text zum Wahlbrief, den die Gedenkstättenstiftung auf ihrer Website veröffentlicht hatte und der als Aufruf verstanden werden kann, die AfD nicht zu wählen, wurde beanstandet und musste gelöscht werden.

Den eigentlichen „Wahlbrief“ mit dem Hinweis auf geschichtsrevisionistische und gegen die Gedenkstättenarbeit gerichtete Positionen aus der AfD befand das Gericht hingegen als sachlich zutreffend und rechtskonform. Solche Positionen sind nicht zuletzt gegen den gesetzlich definierten Zweck der vom Land Thüringen errichteten Gedenkstätten-Stiftung gerichtet. Deshalb, so bestätigte das Gericht, kann es hier keine Neutralität geben; vielmehr leitet sich aus dem Stiftungsgesetz die Verpflichtung ab, die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Opfer der NS-Verbrechen gegenüber solchen Angriffen zu schützen.

Für die Gedenkstätten in Deutschland ist der Gerichtsbeschluss eine gute Nachricht. Er bestätigt ihre gesellschaftspolitischen Aufgaben, zu denen grundsätzlich gehört, die Würde der NS-Opfer zu schützen und ein kritisches historisches Bewusstsein in der Gesellschaft durch historisch-politische Interventionen zu stärken – ganz explizit auch, indem sie in aktuelle politische Debatten eingreifen.

Es ist bezeichnend, wenn die AfD versucht, die Wirkungsfähigkeit der Gedenkstätten einzuschränken und ihre Leitungen einzuschüchtern – übrigens auch mittels einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag vom 2. September 2024, die der Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora „fortlaufend undemokratisches Verhalten“ unterstellt). Demgegenüber kann man nicht oft genug betonen: Eine KZ-Gedenkstätte kann nicht unpolitisch sein; sie muss ihre Stimme erheben, wenn Geschichte verfälscht und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus missachtet wird. Gegenüber der Holocaust-Verharmlosung gibt es für Gedenkstätten – wie auch für jeden Menschen, der auch nur einen Funken Moral und Anstand besitzt – keine Neutralität. Das hat das Verwaltungsgericht Weimar nun ausdrücklich bestätigt.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

Ist Köln eine politische Insel der Seligen?

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom
16. November 2024

Die vorvergangene Woche stand in Köln im Zeichen des Gedenkens an die NS-Verfolgten. Sie war zugleich wieder einmal geprägt von Ereignissen außerhalb der Stadt, die Kopfschütteln und Fragezeichen hinterlassen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und mit gegenwärtigen Herausforderungen kennzeichnet das Profil des NS-Dok. Und doch ist es mitunter schwierig, mit der Gleichzeitigkeit umzugehen. Leben wir in Köln – wie ich in Gesprächen immer wieder höre – auf einer Insel der Seligen, wenigstens, was die politische Lage angeht? Oder sehen viele nur nicht, welche Entwicklungen sich schon vollziehen und abzeichnen?

Am Dienstag verlegten die Kolleg*innen mit dem Künstler Gunter Demnig und engagierten Bürger*innen zahlreiche neue Stolpersteine. Angehörige jüdischer ehemaliger Kölner*innen waren für die Verlegungen angereist, suchten anschließend im NS-Dok den Austausch und sahen Quellen zur Familiengeschichte ein. Währenddessen flog in Sachsen, Jens-Christian Wagner hat hierüber geschrieben, die nächste mutmaßliche rechte Terrorgruppe auf, deren personelle Verbindungen zum AfD-Jugendverband „Junge Alternative“ kaum mehr überraschen. Mittwochvormittags sprachen wir im Vorstand des Verbands der Gedenkstätten in Deutschland über den jüngsten Entwurf zur Neufassung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes, die in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte. Nachmittags bereiteten wir im NS-Dok die Verlängerung des Projekts der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ vor, das aus Bundesmitteln kofinanziert wird. Abends platzte die Koalitionsregierung in Berlin und ich fragte mich nicht nur, welche Auswirkungen dies auf das haben wird, woran wir tagsüber gearbeitet hatten, sondern auch, was baldige Neuwahlen für das Risiko eines weiteren Erstarkens der extremen Rechten bedeuten werden.

Am Donnerstagabend feierten wir im NS-Dok die Verleihung des Bilz-Preises an die Initiative „Stimmen der Solidarität“, die sich mit bewundernswerter Ausdauer für politisch Inhaftierte in der Türkei und im Iran einsetzt. Beim Empfang kreisten viele Gespräche um die Ereignisse des Vorabends und die Auswirkungen vorgezogener Bundestagswahlen mit Blick auf die AfD. Kurze Zeit später wurden in Amsterdam am Rande eines Fußballspiels Juden von sogenannten propalästinensischen Demonstranten angegriffen und durch die Straßen gejagt.

Freitagvormittags die Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Roonstraße. Schüler*innen stellten in eindrucksvollen Beiträgen Biografien verfolgter Kölner Jüdinnen und Juden vor und reflektierten in Gedichten über die Erinnerungskultur. Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln, fand klare Worte zu den Vorfällen in Amsterdam und zur politischen Lage hierzulande. Der Alltag vieler Kölner Jüdinnen und Juden ist angesichts unzähliger antisemitischer Vorfälle in Deutschland und Europa weit von Normalität entfernt. Gemessen am Vorjahr war die Beteiligung der Kölner Stadtgesellschaft am Gedenken eher gering. Dies war hoffentlich der außergewöhnlichen Uhrzeit geschuldet und kein Zeichen dafür, dass die Solidarität mit der jüdischen Gemeinde ein Jahr nach dem mörderischen Terror der Hamas gegen Israel deutlich nachgelassen hat.

Zum Wochenabschluss fand am Sonntag das Gedenken zum 80. Jahrestag der zweiten öffentlichen Hinrichtung in Ehrenfeld am 10. November 1944 statt. Ohne ein Gerichtsurteil ermordete die Gestapo damals mitten in der Stadt am helllichten Tag 13 Männer und Jugendliche. Viel gäbe es zu schreiben, über den langen Streit um die Einordnung dieser Tat und die Anerkennung der Ermordeten, über die stigmatisierende Bezeichnung von NS-Opfern als „Kriminelle“, was eine jahrzehntelange Ausgrenzung zufolge hatte, aber auch über den Begriff „Widerstandskämpfer“, der vermeintlich Klarheit suggeriert, wo es darum gehen müsste, Graubereiche und Ambivalenzen auszuleuchten. Doch die aktuellen politischen Ereignisse nehmen derzeit gedanklich und in Gesprächen viel Raum ein und es erscheint mir falsch, auf diese Gleichzeitigkeit nicht einzugehen.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

AfD-Verbot endlich ernsthaft prüfen

Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 9.11.2024

Angesichts der Wahl in den USA und des Bruchs der Ampel-Koalition in Berlin ging die neueste Nachricht zur AfD in dieser Woche etwas unter: Am Dienstag nahm die Polizei in Sachsen und in Polen auf Anweisung der Bundesanwaltschaft acht Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ fest. Dabei wurden Waffen und Munition sichergestellt. Die Gruppe, deren Abkürzung „SS“ offenbar ganz bewusst in Analogie zu Himmlers „Schutzstaffel“ genutzt wurde, plante für einen „Tag X“, bewaffnete Milizen als „arische Schutztruppen“ loszuschicken, um systematisch Andersdenkende und Nichtdeutsche zu töten. Nach „Spiegel“-Informationen soll dabei auch das Wort „Holocaust“ gebraucht worden sein.

Zu der Terrorgruppe gehörten offenbar mindestens drei AfD-Mitglieder, darunter Kurt Hättasch, Mitglied des Stadtrates in Grimma und Schatzmeister der sächsischen Jungen Alternative, des Jugendverbandes der AfD. Er galt in der Partei als vielversprechendes Talent und soll bei seiner Festnahme mit einem Gewehr bewaffnet gewesen sein und sich verbarrikadiert haben; ein Polizist gab Schüsse ab.

Hättasch ging zuvor durch die Ideologieschule des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Geleitet wird dieses vor kurzem formal ausgelöste Institut von Götz Kubitschek, einem der Vordenker der Neuen Rechten und Chefredakteur der „Sezession“, einer rechtsextremen Zeitschrift, die auch in der AfD gerne gelesen wird. Neben Mitgliedern der „Identitären Bewegung“ und der Jungen Alternative ist auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gerngesehener Gast in Schnellroda. Kubitschek ist so etwas wie sein ideologischer Einflüsterer. Nach eigenen Angaben saß Kubitschek am Abend der Landtagswahl in Thüringen lange mit Höcke zusammen und plante das weitere Vorgehen der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde und bei der Wahl fast ein Drittel der Wählerstimmen erhielt.

Der Fall der „Sächsischen Separatisten“ macht erneut deutlich, welche Gefahr von der AfD ausgeht – auch wenn sich die Partei jetzt bemüht, sich von den Festgenommenen zu distanzieren. Im vergangenen Jahr hatte das BKA bereits eine andere mutmaßliche Terrorgruppe festnehmen lassen, die Reichsbürgertruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Mitglied der Gruppe war die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Zum Umfeld der Gruppe gehörte zudem der Thüringer Aktivist Frank Haußner, ein Duzfreund von Höcke. Die Verbindungen der AfD in das „patriotische Vorfeld“, wie Höcke es nennt, sind vielfältig. Dazu zählen die Reichsbürgerszene, Putin-Anhänger, Pandemieleugner, „Freie Sachsen“ und „Freie Thüringer“ bis hin zu Neonazis aus Gruppierungen wie dem „Dritten Weg“ und anderen. Etliche von ihnen sind als gewalttätig einzustufen.

Die AfD ist tatsächlich so etwas wie der starke parlamentarische Arm dieser potenziell gewalttätigen und recht heterogenen rechtsextremen Szene. Unter dem in Schnellroda entwickelten Schlagwort vom „solidarischen Patriotismus“ verbreitet die AfD Verheißungen der Ungleichheit und redet Ideologien der Ungleichwertigkeit das Wort. Politische Gegner entmenschlicht sie, indem sie sie als „Feinde“ markiert. Ständig hetzt sie gegen die Parteiendemokratie. 2023 raunte Höcke in Weimar, in Zukunft könnte die Parteiendemokratie durch altgermanische Thing-Versammlungen abgelöst werden. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird von AfD-Funktionären in Frage gestellt; Menschen mit Behinderungen will sie ausgrenzen und „Produktive“ gegen „Unproduktive“ stellen. Auch in die vom Grundgesetz garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft greift die AfD immer wieder ein. Zudem verbreitet sie notorisch Geschichtsrevisionismus und würdigt NS-Opfer herab.

All dies sind Positionen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und gegen die freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Und die AfD hat die Mittel und den Willen, diese Positionen auch durchzusetzen. Dabei setzen AfD-Mitglieder, wie der jüngste Fall aus Sachsen zeigt, auch auf Gewalt. Ohne Zweifel ist sie eine Partei, die die liberale, plurale Demokratie bekämpft und durch einen autoritären, völkischen Staat ersetzen möchte. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sind deshalb aufgefordert, ein Verbot der AfD, die offen rechtsextrem und verfassungswidrig auftritt, nun endlich ernsthaft juristisch zu prüfen.

Das Argument, man missachte mit einem Verbotsverfahren 30 Prozent der Wähler:innen im Osten, ist nicht stichhaltig. Nach dieser Argumentation hätte das Bundesverfassungsgericht 1952 auch nicht die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verbieten dürfen, die in manchen Gegenden Niedersachsens ähnlich stark war wie die AfD heute in Thüringen. Tatsächlich beendete das SRP-Verbot eine virulente Gefahr für die junge und fragile Demokratie in Westdeutschland.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

Kampf um die Erinnerung

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom
2. November 2024

 In der vergangenen Woche schrieb Jens-Christian Wagner über Akteure der extremen Rechten in Thüringen, deren Geschichtsrevisionismus Elemente der alten DDR-Geschichtspolitik aufgreift, was in breiteren Bevölkerungskreisen auf Zustimmung stößt. Dies ist Ausdruck einer neuen Situation, die sich schon während der Corona-Pandemie und bei Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine abzeichnete: der Rechtsextremismus ist in seinen Erscheinungsformen diffuser geworden, und es entstehen neue Allianzen.

Auch in Köln war dies zuletzt wiederholt zu beobachten. So organisierte der einschlägig bekannte Markus Beisicht, einst führender Kopf der rechtsextremen „Bürgerbewegung pro NRW“, gemeinsam mit prorussischen Aktivisten mehrfach Autokorsos und Demonstrationen „für den Frieden“ und gegen eine vermeintliche „Fremdbestimmung und Besatzung“ Deutschlands durch die USA. Am 6. Mai 2023 versuchten sie, mit einer solchen Demonstration vor das EL-DE-Haus zu ziehen. Zuvor hatte das NS-DOK ihnen verwehrt, den Innenhof der Gedenkstätte für eine propagandistische Inszenierung zum Jahrestag des Kriegsendes 1945 zu nutzen. Fotos dieser Demonstration zeigen deutsche Rechtsextremisten hinter Sowjetunion-Fahnen und Porträts von Soldaten der Roten Armee – ein bizarres Bild.

Putinversteher am 6. Mai 2023 bei dem EL-DE-Haus (Foto: HB)

Ein ähnlicher Instrumentalisierungsversuch folgte im Mai 2024 an der Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen, Schauplatz des letzten großen NS-Verbrechens in Köln. Im April 1945, während die Amerikaner die linksrheinischen Stadtviertel schon befreit hatten, ermordeten lokale NSDAP-Funktionäre, Volkssturmmänner und Hitlerjungen bei der Räumung des sogenannten Krankensammellagers im Gremberger Wäldchen zahlreiche dort ausharrende ausländische Zwangsarbeiter. Zwei führende Protagonisten der prorussischen Proteste sind zwischenzeitlich nach St. Petersburg geflohen, um einer Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Dennoch muss auch zum 80. Jahrestag des Kriegsendes im Mai 2025 mit Vereinnahmungen der NS-Opfer für rechtsextreme und prorussische Propaganda gerechnet werden.

Die aus der Sowjetunion stammenden jungen Frauen und Männer, unter ihnen sehr viele aus dem Gebiet der heutigen Ukraine, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden, werden rückblickend zu russischen Opfern erklärt und für die gegenwärtige Kriegspropaganda vereinnahmt. Tatsächlich sind jedoch zahlreiche dieser heute hochbetagten Menschen und ihre Familien in der Ukraine tagtäglich von russischen Bomben und Raketen bedroht und leiden unter der schwierigen Versorgungslage. Andere sind durch die Angriffe gewaltsam ums Leben gebracht worden – wie der ehemalige Buchenwald-Häftling Boris Romantschenko.

Das NS-DOK steht wie die Gedenkstätte Buchenwald und andere Gedenkstätten seit den 1990er Jahren mit vielen ehemaligen NS-Verfolgten und ihren Familien in der Ukraine in Kontakt. Um sie zu unterstützen, entstand bereits im März 2022 das „Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine“. Wenngleich die Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine in der deutschen Öffentlichkeit nachgelassen hat, wird Hilfe weiterhin dringend benötigt. Hilfe benötigen aber auch die oft selbstorganisierten Erinnerungsorte an den Holocaust, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in der Ukraine entstanden. Dies gilt etwa für das 2009 gegründete Holocaustmuseum in Odessa, getragen von einer regionalen Vereinigung jüdischer Überlebender, deren Vorsitzenden Roman Shvartsman wir kürzlich im NS-DOK kennenlernen durften. Bei der Kölner Museumsnacht am heutigen Samstag haben Sie im NS-DOK die Möglichkeit, sich über die Arbeit des Hilfsnetzwerks und das Museum in Odessa zu informieren und sie zu unterstützen.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

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