Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 23.11.2024

Systematisch versucht die AfD, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die sich gegen ihre rassistischen und geschichtsrevisionistischen Parolen positionieren, mit Verweis auf das parteipolitische Neutralitätsgebot einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das gilt etwa für Lehrerinnen und Lehrer, auf die auf von der Partei eingerichteten Meldeportalen aufmerksam gemacht werden soll, wenn sie sich gegen die AfD geäußert haben.

Auch Beschäftigte von Gedenkstätten versucht die AfD immer wieder mit Verweis auf das Neutralitätsgebot einzuschüchtern und von einer klaren Haltung gegenüber ihren geschichtsrevisionistischen und Holocaust-verharmlosenden Positionen abzubringen. Diese Versuche hat das Verwaltungsgericht Weimar nun erfreulich deutlich zurückgewiesen: Es schreibt, die Gedenkstätten seien „berechtigt, in aktuelle Diskussionen zu den Opfern, deren in den Gedenkstätten (…) gedacht wird, einzutreten und selbst zu allen Fragen im Zusammenhang mit den Opfern und zu der Gestaltung der Erinnerungsarbeit Stellung zu nehmen.“ Dabei dürften sie „auch Äußerungen Dritter, die das Gedenken und Erinnern an die Opfer berühren, bewerten und einordnen. Eine solche Einordnung kann nicht neutral erfolgen, sondern setzt das aktive Eintreten für die Opfer voraus.“

Und weiter: „Aus dem Stiftungszweck ergibt sich die Befugnis der aktiven Ausgestaltung des Gedenkens in Form der sachlichen Einordnung und Bewertung politischer Äußerungen, die einen Bezug zu der Würde der Opfer haben.“ Gedenkstätten seien „die Stimme der Opfer, die selbst nicht mehr aktiv an der Erinnerungsarbeit teilnehmen können“ (Beschluss des VG Weimar vom 6.11.2024, AZ: 8 E 1652/24 We).

Anlass war die Klage der AfD gegen einen Brief, den die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vor der Landtagswahl als Postwurfsendung an ältere Bürgerinnen und Bürger in Thüringen geschickt hatte. Das Schreiben informierte sachlich darüber, wie die Thüringer AfD systematisch versucht, die Schrecken des Nationalsozialismus kleinzureden, die NS-Sprache wieder salonfähig und die Erinnerungskultur verächtlich zu machen.

Unmittelbar nach der Verteilung der ersten Briefe setzte über Social Media eine Desinformationskampagne der Thüringer AfD ein. Dabei wurde wahrheitswidrig behauptet, die Stiftung habe für den Brief Steuermittel missbraucht, sie habe gegen den Datenschutz verstoßen (indem sie sich illegal die Adressen der älteren Thüringer beschafft habe) und sie habe gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Tatsächlich wurden für die Verteilung der Postwurfsendung in einer Auflage von 350.000 Stück in ganz Thüringen ausschließlich Spendenmittel des Vereins campact verwendet, der auch den Versand über die Deutsche Post organisierte. Letztere hat pauschalisierte Verteiler zu Haushalten angenommener bestimmter Zielgruppen; in diesem Fall die Gruppe Ü 65 in Thüringen. Folge der Desinformation der AfD war ein „Shitstorm“ von beschimpfenden Emails, Anrufen und analogen Schreiben, die die Stiftung und ihre Mitarbeiter:innen erreichten. Dazu gehörten auch mehrere Mails bzw. Briefe mit Morddrohungen gegenüber dem Stiftungsdirektor („ein Galgen, ein Strick, ein Wagnergenick“). Und es ging eine Klage der Thüringer AfD beim Verwaltungsgericht Weimar auf Unterlassung ein. Diese Klage hat das Gericht nunmehr im Grundsatz zurückgewiesen. Lediglich einen Halbsatz in einem erläuternden Text zum Wahlbrief, den die Gedenkstättenstiftung auf ihrer Website veröffentlicht hatte und der als Aufruf verstanden werden kann, die AfD nicht zu wählen, wurde beanstandet und musste gelöscht werden.

Den eigentlichen „Wahlbrief“ mit dem Hinweis auf geschichtsrevisionistische und gegen die Gedenkstättenarbeit gerichtete Positionen aus der AfD befand das Gericht hingegen als sachlich zutreffend und rechtskonform. Solche Positionen sind nicht zuletzt gegen den gesetzlich definierten Zweck der vom Land Thüringen errichteten Gedenkstätten-Stiftung gerichtet. Deshalb, so bestätigte das Gericht, kann es hier keine Neutralität geben; vielmehr leitet sich aus dem Stiftungsgesetz die Verpflichtung ab, die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Opfer der NS-Verbrechen gegenüber solchen Angriffen zu schützen.

Für die Gedenkstätten in Deutschland ist der Gerichtsbeschluss eine gute Nachricht. Er bestätigt ihre gesellschaftspolitischen Aufgaben, zu denen grundsätzlich gehört, die Würde der NS-Opfer zu schützen und ein kritisches historisches Bewusstsein in der Gesellschaft durch historisch-politische Interventionen zu stärken – ganz explizit auch, indem sie in aktuelle politische Debatten eingreifen.

Es ist bezeichnend, wenn die AfD versucht, die Wirkungsfähigkeit der Gedenkstätten einzuschränken und ihre Leitungen einzuschüchtern – übrigens auch mittels einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag vom 2. September 2024, die der Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora „fortlaufend undemokratisches Verhalten“ unterstellt). Demgegenüber kann man nicht oft genug betonen: Eine KZ-Gedenkstätte kann nicht unpolitisch sein; sie muss ihre Stimme erheben, wenn Geschichte verfälscht und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus missachtet wird. Gegenüber der Holocaust-Verharmlosung gibt es für Gedenkstätten – wie auch für jeden Menschen, der auch nur einen Funken Moral und Anstand besitzt – keine Neutralität. Das hat das Verwaltungsgericht Weimar nun ausdrücklich bestätigt.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.