Schlagwort: Geschichtsrevisionismus

Der Versuch, Nazis reinzuwaschen

Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 21.12.2024

Auf den Nationalsozialismus bezogener Geschichtsrevisionismus ist kein neues Phänomen. Schon vor 1945 verbreiteten die Nationalsozialisten schuld-umkehrende Legenden, sprachen von jüdischen Vernichtungsplänen gegenüber Deutschland oder davon, dass für den Zweiten Weltkrieg wahlweise die Juden, die Briten, die Polen oder die Sowjetunion verantwortlich seien. Nach dem Krieg wärmten ehemalige Nazis und neue Rechtsextreme diese Legenden auf.

Ziel solcher Legenden war und ist es, die deutsche Geschichte in eine Erfolgsgeschichte umzudeuten und die Verbrechen des Nationalsozialismus (wie auch des deutschen Kolonialismus) kleinzureden, zu verharmlosen und zu relativieren oder eine Schuldumkehr zu betreiben, indem die Alliierten (oder auch jüdische Verschwörer) als die eigentlichen Kriegsverbrecher und Schuldigen dargestellt werden. Wer Nationalismus und Stolz auf die deutsche Geschichte propagiert, muss versuchen, sie vom Makel der NS-Verbrechen zu befreien, sie gewissermaßen zu entkriminalisieren. Oder man schiebt sie anderen in die Schuhe. So behaupten Rechtsextreme neuerdings, die Nazis seien in Wirklichkeit Linke gewesen, schließlich nannten sie sich ja National-„Sozialisten“. Auf diese Weise versuchen sie, rechtsextremes Denken vom Stigma Auschwitz zu befreien.

In jüngster Zeit hat sich dieser Trend verstärkt. Im Zuge digitaler Desinformation flutet eine neue Welle geschichtsrevisionistischer Mythen die sozialen Medien. Was früher nur bei obskuren Verlagen mit Postfachadressen verfügbar war, ist heute nur einen Mausklick entfernt. In Foren, Blogs und sozialen Netzwerken kursieren Holocaust-verharmlosende und NS-verherrlichende Inhalte, die mit alarmierender Geschwindigkeit viral gehen. Und es bleibt nicht bei digitalen Angriffen auf die Erinnerungskultur: Immer öfter melden Gedenkstätten Schmierereien mit rechtsextremen Inhalten auf Info- oder Gedenktafeln. Besonders fassungslos macht, dass in Weimar in den vergangenen Jahren rund 50 Bäume abgesägt wurden, die an Häftlinge des KZ Buchenwald erinnern.

Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt nicht nur bei anonymer Internetpropaganda, sondern auch bei politischen Akteuren, die geschichtsrevisionistische Mythen aktiv verbreiten und die Gedenkstättenarbeit anfeinden. Das gilt vor allem für die die rechtsoffene bis rechtsextreme Mischszene aus Reichsbürgern, „Montagsdemonstranten“, Identitären, Pandemieleugnern, Putin-Anhängern wie auch die Neue und die Alte Rechte – und für die AfD. Letztere ist sowohl Symptom als auch Motor dieser Entwicklung. Wiederholt hat sie sich durch geschichtsrevisionistische Parolen hervorgetan.

Ein prominentes Beispiel ist der AfD-Politiker Jörg Prophet. Er diskreditierte die Gedenkstättenarbeit als „Schuldkult“, setzte die britischen Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 mit dem Judenmord in Auschwitz gleich und raunte von deutschen Opfern in den Rheinwiesenlagern. Wenn solche Thesen aus den Parlamenten heraus verbreitet werden, verleiht ihnen das eine scheinbare demokratische Legitimation.

Häufig werden geschichtsrevisionistische Mythen, Chiffren und Signalwörter von Menschen außerhalb des Milieus gar nicht in ihrer Bedeutung erkannt – oft, weil das historische Wissen nicht vorhanden ist. Geschichtsrevisionistische Mythen können sich so ungehindert verbreiten; entsprechende Narrative werden zunehmend normalisiert. Hier setzt das Projekt „Geschichte statt Mythen“ der Uni Jena und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora an. Es verbindet Forschung mit historisch-politischer Bildung: Systematisch werden durch das Monitoring von Reden, Publikationen und Social-Media-Posts geschichtsrevisionistische Positionen in der rechtsextremen und rechtsoffenen Mischszene in Thüringen erfasst und die Argumentationsmuster ausgewertet.

Dabei fragt das Projekt auch nach dem Fortwirken geschichtspolitischer Positionen der SED-Propaganda. Die Ergebnisse werden fortlaufend in einem Blog veröffentlicht. Darin werden nicht nur die gängigen geschichts-revisionistischen Legenden vorgestellt, sondern es wird auch deutlich gemacht, wer sie mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck verbreitet. Einträge finden sich etwa zu den AfD-Politikern Björn Höcke und Jörg Prophet, aber auch zu Erinnerungsorten der Neuen Rechten wie der „Gedächtnisstätte Guthmannshausen“, die Geschichtsrevisionismus mit Ahnen-Esoterik verbindet.

Der Blog richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, bietet aber sicherlich auch Fachleuten neue Informationen. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, leider vorerst nur bis April 2025. Es ist zu hoffen, dass sich eine Anschlussfinanzierung findet, denn es ist kaum zu erwarten, dass der Geschichtsrevisionismus im Frühjahr 2025 urplötzlich von der Bildfläche verschwindet. Es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft, sich dem Geschichtsrevisionismus entgegenzustellen und sich dafür einzusetzen, dass die auf wissensbasierte Reflexion und die Würdigung der Opfer ausgerichtete Erinnerungskultur erhalten bleibt, denn auf ihr basiert unser demokratisches Wertesystem.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

Gedenken kann nicht unpolitisch sein

Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 23.11.2024

Systematisch versucht die AfD, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die sich gegen ihre rassistischen und geschichtsrevisionistischen Parolen positionieren, mit Verweis auf das parteipolitische Neutralitätsgebot einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das gilt etwa für Lehrerinnen und Lehrer, auf die auf von der Partei eingerichteten Meldeportalen aufmerksam gemacht werden soll, wenn sie sich gegen die AfD geäußert haben.

Auch Beschäftigte von Gedenkstätten versucht die AfD immer wieder mit Verweis auf das Neutralitätsgebot einzuschüchtern und von einer klaren Haltung gegenüber ihren geschichtsrevisionistischen und Holocaust-verharmlosenden Positionen abzubringen. Diese Versuche hat das Verwaltungsgericht Weimar nun erfreulich deutlich zurückgewiesen: Es schreibt, die Gedenkstätten seien „berechtigt, in aktuelle Diskussionen zu den Opfern, deren in den Gedenkstätten (…) gedacht wird, einzutreten und selbst zu allen Fragen im Zusammenhang mit den Opfern und zu der Gestaltung der Erinnerungsarbeit Stellung zu nehmen.“ Dabei dürften sie „auch Äußerungen Dritter, die das Gedenken und Erinnern an die Opfer berühren, bewerten und einordnen. Eine solche Einordnung kann nicht neutral erfolgen, sondern setzt das aktive Eintreten für die Opfer voraus.“

Und weiter: „Aus dem Stiftungszweck ergibt sich die Befugnis der aktiven Ausgestaltung des Gedenkens in Form der sachlichen Einordnung und Bewertung politischer Äußerungen, die einen Bezug zu der Würde der Opfer haben.“ Gedenkstätten seien „die Stimme der Opfer, die selbst nicht mehr aktiv an der Erinnerungsarbeit teilnehmen können“ (Beschluss des VG Weimar vom 6.11.2024, AZ: 8 E 1652/24 We).

Anlass war die Klage der AfD gegen einen Brief, den die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vor der Landtagswahl als Postwurfsendung an ältere Bürgerinnen und Bürger in Thüringen geschickt hatte. Das Schreiben informierte sachlich darüber, wie die Thüringer AfD systematisch versucht, die Schrecken des Nationalsozialismus kleinzureden, die NS-Sprache wieder salonfähig und die Erinnerungskultur verächtlich zu machen.

Unmittelbar nach der Verteilung der ersten Briefe setzte über Social Media eine Desinformationskampagne der Thüringer AfD ein. Dabei wurde wahrheitswidrig behauptet, die Stiftung habe für den Brief Steuermittel missbraucht, sie habe gegen den Datenschutz verstoßen (indem sie sich illegal die Adressen der älteren Thüringer beschafft habe) und sie habe gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Tatsächlich wurden für die Verteilung der Postwurfsendung in einer Auflage von 350.000 Stück in ganz Thüringen ausschließlich Spendenmittel des Vereins campact verwendet, der auch den Versand über die Deutsche Post organisierte. Letztere hat pauschalisierte Verteiler zu Haushalten angenommener bestimmter Zielgruppen; in diesem Fall die Gruppe Ü 65 in Thüringen. Folge der Desinformation der AfD war ein „Shitstorm“ von beschimpfenden Emails, Anrufen und analogen Schreiben, die die Stiftung und ihre Mitarbeiter:innen erreichten. Dazu gehörten auch mehrere Mails bzw. Briefe mit Morddrohungen gegenüber dem Stiftungsdirektor („ein Galgen, ein Strick, ein Wagnergenick“). Und es ging eine Klage der Thüringer AfD beim Verwaltungsgericht Weimar auf Unterlassung ein. Diese Klage hat das Gericht nunmehr im Grundsatz zurückgewiesen. Lediglich einen Halbsatz in einem erläuternden Text zum Wahlbrief, den die Gedenkstättenstiftung auf ihrer Website veröffentlicht hatte und der als Aufruf verstanden werden kann, die AfD nicht zu wählen, wurde beanstandet und musste gelöscht werden.

Den eigentlichen „Wahlbrief“ mit dem Hinweis auf geschichtsrevisionistische und gegen die Gedenkstättenarbeit gerichtete Positionen aus der AfD befand das Gericht hingegen als sachlich zutreffend und rechtskonform. Solche Positionen sind nicht zuletzt gegen den gesetzlich definierten Zweck der vom Land Thüringen errichteten Gedenkstätten-Stiftung gerichtet. Deshalb, so bestätigte das Gericht, kann es hier keine Neutralität geben; vielmehr leitet sich aus dem Stiftungsgesetz die Verpflichtung ab, die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und die Opfer der NS-Verbrechen gegenüber solchen Angriffen zu schützen.

Für die Gedenkstätten in Deutschland ist der Gerichtsbeschluss eine gute Nachricht. Er bestätigt ihre gesellschaftspolitischen Aufgaben, zu denen grundsätzlich gehört, die Würde der NS-Opfer zu schützen und ein kritisches historisches Bewusstsein in der Gesellschaft durch historisch-politische Interventionen zu stärken – ganz explizit auch, indem sie in aktuelle politische Debatten eingreifen.

Es ist bezeichnend, wenn die AfD versucht, die Wirkungsfähigkeit der Gedenkstätten einzuschränken und ihre Leitungen einzuschüchtern – übrigens auch mittels einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag vom 2. September 2024, die der Leitung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora „fortlaufend undemokratisches Verhalten“ unterstellt). Demgegenüber kann man nicht oft genug betonen: Eine KZ-Gedenkstätte kann nicht unpolitisch sein; sie muss ihre Stimme erheben, wenn Geschichte verfälscht und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus missachtet wird. Gegenüber der Holocaust-Verharmlosung gibt es für Gedenkstätten – wie auch für jeden Menschen, der auch nur einen Funken Moral und Anstand besitzt – keine Neutralität. Das hat das Verwaltungsgericht Weimar nun ausdrücklich bestätigt.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

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