Schlagwort: Afd

Besorgniserregende Gemeinsamkeiten

Jens-Christian Wagner im Stadtanzeiger vom 12.10.2024

Jens-Christian Wagner bei einem Vortrag im NS-DOK (Foto: HB)

Fast sechs Wochen nach der Landtagswahl gibt es in Thüringen noch immer keine neue Regierung, ja noch nicht einmal Koalitionsgespräche. Es wird noch immer zwischen CDU, BSW und SPD sondiert – „mit guter Laune und in entspannter Atmosphäre“, wie die Thüringer CDU am vergangenen Dienstag via X, vormals Twitter, wissen ließ. Für gute Laune besteht indessen kaum ein Grund. Sollte es tatsächlich zur „Brombeer-Koalition“ kommen, hätte diese im Landtag keine eigene Mehrheit und wäre auf die Stimmen der Linken oder Abweichler aus der AfD angewiesen. Und fragil wäre das Dreierbündnis noch aus einem weiteren Grund: Das BSW ist eine Mischung aus antiliberalem und antiwestlichem Ressentiment, Putin-Propaganda, Nationalismus, Xenophobie, autoritärer Kaderpartei und DDR-Nostalgie. In ihm steckt zehnmal mehr SED als in der Linken, mit der die CDU eine Zusammenarbeit ausschließt.

Aber nicht nur inhaltlich wäre der Bogen bis zum Zerreißen gespannt: Die Thüringer BSW-Führung ist offenbar vollkommen abhängig von Parteichefin Wagenknecht. Die ließ vor der Aufnahme der Sondierungsgespräche wissen, dass sie persönlich in einem Gespräch mit CDU-Chef Mario Voigt ihre Bedingungen „klären“ wolle, bevor die Thüringer Parteivorsitzende Katja Wolf mit ihm über eine Koalition sprechen darf – ein recht eigenwilliges Demokratieverständnis, auch der eigen Partei gegenüber.

Welche Positionen Katja Wolf vertritt, ist derweil unklar. Zwei Wochen vor der Wahl kündigte sie im MDR an, Anträgen der AfD im Landtag gegebenenfalls zustimmen zu wollen. Es dürfe keine „ideologischen Scheuklappen“ geben. Das lässt Schlimmes befürchten, zumal es inhaltliche Überschneidungen zwischen den beiden Parteien gibt, nicht nur hinsichtlich der Nähe zu Russlands Diktator Putin und beim Antiamerikanismus, sondern auch in der Migrationspolitik und bei der populistischen Hetze gegen die links-grüne „Wokeness“: Die Wahlplakate von AfD und BSW ließen sich kaum auseinanderhalten: „Rechnen statt Gendern“, forderte der BSW, und bei der AfD hieß es: „Deutsch statt Gendern“.

Auch beim Thema Corona-Schutzmaßnahmen gibt es Überschneidungen, beide Parteien fordern einen Untersuchungsausschuss und bedienen damit Narrative der verschwörungsideologischen Pandemieleugner-Szene. Noch vor Aufnahme der Koalitionsgespräche hat das BSW einen Antrag auf Einrichtung eines Corona-Untersuchungsausschusses in den Landtag eingebracht. Damit das nötige Fünftel der Stimmen für den Antrag zusammenkommt, könnte das BSW auf Stimmen aus der AfD angewiesen sein.

Doch auch wenn das BSW Abstand zur AfD halten sollte, bleibt das Problem bestehen, dass Wagenknecht der Koalition ihre antiwestliche und antiliberale Agenda aufnötigt und damit Positionen regierungsamtlich werden, die auch in der AfD vertreten werden. Wie nah Wagenknecht der AfD inhaltlich in vielen Belangen steht, hat sie beim Gespräch mit deren Chefin Alice Weidel am vergangenen Mittwoch gezeigt. Die politische Kultur in Thüringen könnte sich damit bei einer Regierungsbeteiligung des BSW von der liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts weiter entfremden und der AfD damit den Acker bestellen.

Was bedeutet all das für die Gedenkstätten? Eines unterscheidet das BSW von der AfD diametral: Es verbreitet keinen Geschichtsrevisionismus, zumindest nicht zum Thema der NS-Verbrechen (wie es sich mit Blick auf das SED-Unrecht verhält, ist nicht ganz klar). Und im Gegensatz zur AfD bekämpft es die Arbeit der Gedenkstätten nicht; im Gegenteil: Das BSW-Parteiprogramm fordert ausdrücklich die Unterstützung der Gedenkstättenarbeit. Gleiches gilt für die CDU, auch wenn in deren Wahlprogramm deutlich mehr zur SED-Diktatur und zu den Heimatvertriebenen steht als zu den NS-Verbrechen, und für die SPD.

Auf den ersten Blick dürfte sich eine Brombeer-Koalition, was die Unterstützung durch die Landesregierung anbelangt, also eher nicht negativ auf die Arbeit der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora auswirken. Trotzdem ist es auch hier das BSW, das Zweifel aufkommen lässt: Mit ihrer Putin-Nähe und antiisraelischen Positionen könnte die Wagenknecht-Partei in Konflikt nicht nur mit den Gedenkstätten, sondern auch mit den Überlebendenverbänden geraten.

Im Internationalen Komitee Buchenwald-Dora etwa, in dem sich KZ-Überlebende und ihre Angehörigen aus vielen Ländern zusammengeschlossen haben, hat man für Putin- und Hamas-Apologeten wenig Verständnis: Der Präsident des Komitees und Buchenwald-Überlebende Naftali Fürst verlor beim Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 eine Angehörige, und der ukrainische Vizepräsident Boris Romantschenko, der Buchenwald, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen überlebt hatte, starb 2022 beim russischen Beschuss seiner Heimatstadt Charkiw.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolume veröffentlicht.

Noch ist die AfD keine NSDAP 2.0

Historiker Jens-Christian Wagner über Lehren aus dem Wahlausgang in Thüringen

Drei Tage nach der Landtagswahl in Thüringen hat sich an meinem Entsetzen von Sonntagabend nicht viel geändert: Für jemanden, der sich beruflich der kritischen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen widmet, ist es erschütternd und deprimierend, wenn erstmals seit 1945 Rechtsextreme in einem Bundesland mit knapp einem Drittel der Stimmen stärkste Partei werden. Und in Sachsen sieht es kaum besser aus: Auch dort hat die AfD gut 30 Prozent der Wählerstimmen geholt.

Für die Gedenkstätten ist der Wahlerfolg der AfD bitter. Notorisch verharmlosen Politiker der AfD die NS-Verbrechen und diskreditieren die Erinnerungskultur als „Schuldkult“ – ein Begriff, den der ehemalige SS-Unterscharführer und spätere rechtsextreme „Republikaner“-Chef Franz Schönhuber Anfang der 1980er Jahre in die Welt gesetzt hat und der später von der AfD aufgegriffen wurde. Dahinter steht die geschichtsrevisionistische Legende, die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und die Würdigung ihrer Opfer dienten „fremden Mächten“, vorzugsweise den Juden, dazu, Deutschland kleinzuhalten bzw. seine „Selbstfindung“ zu verhindern, wie der Thüringer AfD-Chef Höcke kürzlich auf X, vormals Twitter, schrieb. Höcke ist es auch, der ständig von „raumfremden Mächten“ raunt, die aus Deutschland vertrieben werden müssten. Raumfremde Mächte – das ist ein Begriff, den der NS-Staatsrechtler Carl Schmitt 1941 eingeführt hat, mitten im Zweiten Weltkrieg.

Dass die AfD ausgerechnet in Thüringen erstmals stärkste Kraft wird, ist bitter und weckt historische Assoziationen, blicken wir historisch doch auf drei Thüringer Sündenfälle auf dem Weg zum NS-Staat: 1924 die erste Tolerierung einer bürgerlichen Minderheitsregierung durch Nationalsozialisten im Deutschen Reich, 1930 die erste Koalitionsregierung mit Nationalsozialisten und 1932 die erste NSDAP-geführte Landesregierung. Thüringen, von den Nazis als „Schutz- und Trutzgau“ bezeichnet, war für die NSDAP ein Experimentierfeld und Sprungbrett auf dem Weg zur Macht in ganz Deutschland.

Nun ist die AfD trotz aller ideologischen Ähnlichkeiten keine NSDAP 2.0, zumindest noch nicht. 1924 ist nicht gleich 1933. Die Unterschiede liegen aber weniger in der Programmatik der beiden Parteien als im historischen Kontext. Die Weimarer Republik stand nicht nur unter Beschuss durch die NSDAP, sondern auch von links, nämlich durch die stalinistische KPD. Diese Gefahr gibt es heute nicht. Unterschied Nr. 2: Weimar war eine Republik ohne Republikaner. Heute stehen die meisten Menschen in Deutschland und auch in Thüringen fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Vergessen wir nicht: 70 Prozent der Thüringer haben die AfD nicht gewählt. Der dritte Unterschied: Anfang der 1930er Jahre herrschte in Deutschland infolge der Weltwirtschaftskrise blanke Not. Heute geht es den meisten Deutschen so gut wie noch nie.

Der vierte Unterschied hat mit historischen Kenntnissen zu tun: Anders als die Zeitgenossen des Jahres 1933 wissen wir, wie das damals ausgegangen ist. Und das verpflichtet uns, wachsam zu sein, und die demokratischen Parteien im Thüringer Landtages mahnt dieses Wissen, jegliche Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen zu unterlassen.

KStA 4. September 2024

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolume veröffentlicht.