Monat: Februar 2025

Tag der Schande

Beitrag Jens-Christian Wagners vom 1.2.2025

Der 29. Januar 2025 wird in die Geschichtsbücher eingehen. Es ist der Tag, an dem konservative Parteien zum ersten Mal offen mit Rechtsextremen zusammengearbeitet haben. Ganz bewusst verließ sich die CDU/CSU-Bundesfraktion auf die Zustimmung der AFD um für ihren Entschließungsantrag zur Begrenzung der Migration eine Mehrheit im Bundestag zu erhalten. Die Brandmauer zu den Rechtsextremen ist damit gefallen. Und die FDP machte dabei mit.

Partei-Funktionäre reden NS-Verbrechen klein

Seit Jahren beobachten die Gedenkstätten eine deutliche Zunahme von Angriffen und Anfeindungen durch extrem Rechte und eine zunehmende Verbreitung holocaustverharmlosender Positionen. Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt aber nicht nur bei anonymer In­ternetpropaganda, sondern auch bei politischen Akteuren, die geschichtsrevisionistische Mythen aktiv verbreiten und die Gedenkstättenarbeit anfeinden. Das gilt vor allem für die AfD. Letztere ist sowohl Symptom als auch Motor dieser Entwicklung. Ständig reden Funktionäre der AfD die NS-Verbrechen klein, relativieren sie oder betreiben Schuldumkehr, wenn sie die Alliierten als die eigentlichen Kriegsverbrecher bezeichnen.

Das machte etwa der Thüringer AfD-Landtagsabge­ord­nete Jörg Prophet, dessen Wahl zum Landtags-Vizepräsidenten am Donnerstag nur knapp scheiterte und der den britischen Luftangriff auf Dresden mit Auschwitz gleichsetzte, den amerikanischen Befreiern des KZ Mittelbau-Dora „Morallosigkeit“ vorwarf sowie vom „Schuldkult“ sprach und mit Geraune über den Morgenthau-Plan und die angeblichen Verbrechen in den Rheinwiesenlagern antisemitisch aufgeladene Legenden verbreitete.

AfD stellt positive Bezüge zum Nationalsozialismus her

Sein Thüringer Parteichef Höcke wiederum forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, und der AfD-Bundes-Ehrenvorsitzende Gauland bezeichnete die NS-Zeit in einer Rede in Thüringen als „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Der AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah ließ im Wahlkampf 2024 kaum eine Gelegenheit aus, die Wehrmachtsverbrechen zu leugnen und die SS zu verharmlosen.

Und nicht nur NS-Verharmlosung betreibt die AfD, sondern sie setzt zunehmend auch positive Bezüge zum Nationalsozialismus, wenn sie sich in ihrem Landtagswahlprogramm für Thüringen auf den radikalen Hitler-Bewunderer und Antisemiten Franz Langheinrich beruft oder Björn Höcke behauptet, Europa werde von „raumfremden Mächten“ regiert, ein Begriff, den der NS-Staatsrechtler Carl Schmitt 1941 prägte. Mehrere AfD-Mandatsträger nutzten zudem den Volkstrauertag 2024, um Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und den von den Nationalsozialisten eingeführten Begriff des „Heldengedenktages“ wiederaufleben zu lassen.

Tag der Schande für die Union

Besonders alarmierend ist, dass diese Aussagen nicht nur im politischen Raum, sondern durch AfD-Abgeordnete auch aus den Parlamenten heraus verbreitet werden. Das verleiht ihnen eine scheinbare demokratische Legitimation und beschleunigt ihre Verbreitung im öffentlichen Raum. Zudem können sich dadurch gewaltbereite Neonazis ermutigt fühlen, in den Gedenkstätten zur Tat zu schreiten. Die Zunahme von Angriffen auf die Gedenkstätten zeigt das deutlich.

Jahrzehntelang war es demokratischer Konsens in der Bundesrepublik, dass man mit extrem Rechten nicht zusammenarbeitet. Diesen Konsens haben CDU/CSU in dieser Woche aufgekündigt – und das nur wenige Stunden nach der Gedenkveranstaltung des Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus. Albrecht Weinberg, Überlebender von Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen, hat angekündigt, sein Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Ein Tag der Schande für die Union.

Der Historiker Jens-Christian Wagner ist Professor für Geschichte an der Universität Jena und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Verharmloser der NS-Verbrechen darf nicht Vizepräsident des Thüringer Landtages sein!

Internationales Kommitee Buchenwald–Dora und Kommandos

Aufruf an alle Abgeordneten des Thüringer Landtages vom 24.01.2025

Mit einem dringenden Appell wendet sich das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD), in dem sich Überlebende der beiden Konzentrationslager und ihre Angehörigen aus zahlreichen Ländern zusammengeschlossen haben, an die Abgeordneten des Thüringer Landtages: Es ruft sie auf, den als Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Verharmloser bekannten AfD-Abgeordneten Jörg Prophet nicht zum Vizepräsidenten des Thüringer Landtages zu wählen.

„In Thüringen bahnt sich ein handfester geschichtspolitischer Skandal an“, sagt dazu Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner. „Ausgerechnet im unmittelbaren Anschluss an die Gedenkstunde des Landtags am 29. Januar 2025 zum Internationalen Holocaust-Gedenktag soll jemand zu seinem Vizepräsidenten gewählt werden, der die NS-Verbrechen wiederholt verharmlost hat – für die Überlebenden des NS-Terrors ein unerträglicher Gedanke, und das nicht nur wegen des zeitlichen Zusammenhangs.“

Der Nordhäuser AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Prophet ist in den vergangenen Jahren mehrfach mit geschichtsrevisionistischen und den Holocaust verharmlosenden Positionen aufgefallen.

Nachfolgend dokumentieren wir den Aufruf des Internationalen Komitees vom 23. Januar 2025:

Ein Verharmloser der NS-Verbrechen darf nicht Vizepräsident des Thüringer Landtages sein!

Mit Empörung und großer Sorge blicken die Überlebenden der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie ihre Angehörigen nach Thüringen. Dass dort mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Jörg Prophet ein einschlägig bekannter Geschichtsrevisionist und Holocaust-Verharmloser zum Landtagsvizepräsidenten gewählt werden soll – und das ausgerechnet im Anschluss an die Gedenkstunde des Landtages und der Landesregierung zum internationalen Holocaust-Gedenktag – erschüttert uns zutiefst.

Jörg Prophet hat sich in den vergangenen Jahren mehrfach öffentlich mit den Holocaust verharmlosenden und geschichtsrevisionistischen Positionen hervorgetan, in dem er beispielsweise den U.S.-amerikanischen Befreiern des KZ Mittelbau-Dora „Morallosigkeit“ vorwarf oder den industriellen Massenmord in Auschwitz mit den britischen Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 gleichsetzte. Er verbreitet unter Rechtsextremen häufig genutzte Geschichtslegenden, bezeichnet Nazis als „linke Sozialisten“ und nutzt die von der AfD (und vormals von der NPD) häufig verwendete Redewendung eines angeblichen „Schuldkults“, durch die die Erinnerung an das Leiden unserer Kameraden und Angehörigen massiv diskreditiert wird. Ein Beitrag Prophets wurde sogar (ohne dass sein Autor namentlich erwähnt wurde) in den Thüringer Verfassungsschutzbericht 2021 aufgenommen, der zu dem Schluss kommt, der Autor verfüge über ein „geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild“.

In den letzten Jahrzehnten wurde von politisch Verantwortlichen Thüringens immer wieder deutlich gemacht, dass die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen grundlegend für die demokratische Kultur Thüringens ist. Der Thüringer Landtag und der*die jeweilige Ministerpräsident*in haben maßgeblich dazu beigetragen, ein gutes Zusammenwirken zwischen der politischen Ebene, dem IKBD und unzähligen weiteren Menschen in Thüringen, die sich für die Würdigung der Opfer des NS-Terrors engagieren, möglich zu machen. Die bisher regelmäßige Einladung unseres Komitees zur Gedenkstunde am 27. Januar war nur ein Beispiel für dieses Zusammenwirken.

Als Komitee, welches auch weiterhin das Andenken an die Opfer der Verbrechen der Nationalsozialisten bewahrt, bedauern wir zutiefst, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten entstandene enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit des IKBD mit den staatlichen Institutionen Thüringens durch die Kandidatur Jörg Prophets nunmehr stark bedroht ist. Sollte dem Landtag ein einschlägig als Geschichtsrevisionist bekannter Politiker als Vizepräsident vorstehen, wäre das ein schwerer Schlag gegen unsere enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Mehr noch: Es wäre ein schwerer Schlag gegen die aufgeklärte, kritische Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen und gegen die Würdigung der Opfer des Nationalsozialismus. Unter einem Vizepräsidenten Prophet wäre uns eine Teilnahme an Gedenkveranstaltungen im Thüringer Landtag nicht vorstellbar.

Wir rufen alle Abgeordneten des Thüringer Landtages dazu auf, sich ihrer geschichtlichen Verantwortung bewusst zu sein und den skizzierten Schaden für den Freistaat Thüringen noch abzuwenden.

Naftali Fürst (Haifa, Israel)
Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos (IKBD), ehemaliger Häftling der KZ Auschwitz und Buchenwald

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