Monat: November 2024

AfD-Verbot endlich ernsthaft prüfen

Jens-Christian Wagner im Kölner Stadtanzeiger vom 9.11.2024

Angesichts der Wahl in den USA und des Bruchs der Ampel-Koalition in Berlin ging die neueste Nachricht zur AfD in dieser Woche etwas unter: Am Dienstag nahm die Polizei in Sachsen und in Polen auf Anweisung der Bundesanwaltschaft acht Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ fest. Dabei wurden Waffen und Munition sichergestellt. Die Gruppe, deren Abkürzung „SS“ offenbar ganz bewusst in Analogie zu Himmlers „Schutzstaffel“ genutzt wurde, plante für einen „Tag X“, bewaffnete Milizen als „arische Schutztruppen“ loszuschicken, um systematisch Andersdenkende und Nichtdeutsche zu töten. Nach „Spiegel“-Informationen soll dabei auch das Wort „Holocaust“ gebraucht worden sein.

Zu der Terrorgruppe gehörten offenbar mindestens drei AfD-Mitglieder, darunter Kurt Hättasch, Mitglied des Stadtrates in Grimma und Schatzmeister der sächsischen Jungen Alternative, des Jugendverbandes der AfD. Er galt in der Partei als vielversprechendes Talent und soll bei seiner Festnahme mit einem Gewehr bewaffnet gewesen sein und sich verbarrikadiert haben; ein Polizist gab Schüsse ab.

Hättasch ging zuvor durch die Ideologieschule des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Geleitet wird dieses vor kurzem formal ausgelöste Institut von Götz Kubitschek, einem der Vordenker der Neuen Rechten und Chefredakteur der „Sezession“, einer rechtsextremen Zeitschrift, die auch in der AfD gerne gelesen wird. Neben Mitgliedern der „Identitären Bewegung“ und der Jungen Alternative ist auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gerngesehener Gast in Schnellroda. Kubitschek ist so etwas wie sein ideologischer Einflüsterer. Nach eigenen Angaben saß Kubitschek am Abend der Landtagswahl in Thüringen lange mit Höcke zusammen und plante das weitere Vorgehen der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde und bei der Wahl fast ein Drittel der Wählerstimmen erhielt.

Der Fall der „Sächsischen Separatisten“ macht erneut deutlich, welche Gefahr von der AfD ausgeht – auch wenn sich die Partei jetzt bemüht, sich von den Festgenommenen zu distanzieren. Im vergangenen Jahr hatte das BKA bereits eine andere mutmaßliche Terrorgruppe festnehmen lassen, die Reichsbürgertruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Mitglied der Gruppe war die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Zum Umfeld der Gruppe gehörte zudem der Thüringer Aktivist Frank Haußner, ein Duzfreund von Höcke. Die Verbindungen der AfD in das „patriotische Vorfeld“, wie Höcke es nennt, sind vielfältig. Dazu zählen die Reichsbürgerszene, Putin-Anhänger, Pandemieleugner, „Freie Sachsen“ und „Freie Thüringer“ bis hin zu Neonazis aus Gruppierungen wie dem „Dritten Weg“ und anderen. Etliche von ihnen sind als gewalttätig einzustufen.

Die AfD ist tatsächlich so etwas wie der starke parlamentarische Arm dieser potenziell gewalttätigen und recht heterogenen rechtsextremen Szene. Unter dem in Schnellroda entwickelten Schlagwort vom „solidarischen Patriotismus“ verbreitet die AfD Verheißungen der Ungleichheit und redet Ideologien der Ungleichwertigkeit das Wort. Politische Gegner entmenschlicht sie, indem sie sie als „Feinde“ markiert. Ständig hetzt sie gegen die Parteiendemokratie. 2023 raunte Höcke in Weimar, in Zukunft könnte die Parteiendemokratie durch altgermanische Thing-Versammlungen abgelöst werden. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird von AfD-Funktionären in Frage gestellt; Menschen mit Behinderungen will sie ausgrenzen und „Produktive“ gegen „Unproduktive“ stellen. Auch in die vom Grundgesetz garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft greift die AfD immer wieder ein. Zudem verbreitet sie notorisch Geschichtsrevisionismus und würdigt NS-Opfer herab.

All dies sind Positionen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und gegen die freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Und die AfD hat die Mittel und den Willen, diese Positionen auch durchzusetzen. Dabei setzen AfD-Mitglieder, wie der jüngste Fall aus Sachsen zeigt, auch auf Gewalt. Ohne Zweifel ist sie eine Partei, die die liberale, plurale Demokratie bekämpft und durch einen autoritären, völkischen Staat ersetzen möchte. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sind deshalb aufgefordert, ein Verbot der AfD, die offen rechtsextrem und verfassungswidrig auftritt, nun endlich ernsthaft juristisch zu prüfen.

Das Argument, man missachte mit einem Verbotsverfahren 30 Prozent der Wähler:innen im Osten, ist nicht stichhaltig. Nach dieser Argumentation hätte das Bundesverfassungsgericht 1952 auch nicht die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verbieten dürfen, die in manchen Gegenden Niedersachsens ähnlich stark war wie die AfD heute in Thüringen. Tatsächlich beendete das SRP-Verbot eine virulente Gefahr für die junge und fragile Demokratie in Westdeutschland.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

Kampf um die Erinnerung

Henning Borggräfe im Kölner Stadtanzeiger vom
2. November 2024

 In der vergangenen Woche schrieb Jens-Christian Wagner über Akteure der extremen Rechten in Thüringen, deren Geschichtsrevisionismus Elemente der alten DDR-Geschichtspolitik aufgreift, was in breiteren Bevölkerungskreisen auf Zustimmung stößt. Dies ist Ausdruck einer neuen Situation, die sich schon während der Corona-Pandemie und bei Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine abzeichnete: der Rechtsextremismus ist in seinen Erscheinungsformen diffuser geworden, und es entstehen neue Allianzen.

Auch in Köln war dies zuletzt wiederholt zu beobachten. So organisierte der einschlägig bekannte Markus Beisicht, einst führender Kopf der rechtsextremen „Bürgerbewegung pro NRW“, gemeinsam mit prorussischen Aktivisten mehrfach Autokorsos und Demonstrationen „für den Frieden“ und gegen eine vermeintliche „Fremdbestimmung und Besatzung“ Deutschlands durch die USA. Am 6. Mai 2023 versuchten sie, mit einer solchen Demonstration vor das EL-DE-Haus zu ziehen. Zuvor hatte das NS-DOK ihnen verwehrt, den Innenhof der Gedenkstätte für eine propagandistische Inszenierung zum Jahrestag des Kriegsendes 1945 zu nutzen. Fotos dieser Demonstration zeigen deutsche Rechtsextremisten hinter Sowjetunion-Fahnen und Porträts von Soldaten der Roten Armee – ein bizarres Bild.

Putinversteher am 6. Mai 2023 bei dem EL-DE-Haus (Foto: HB)

Ein ähnlicher Instrumentalisierungsversuch folgte im Mai 2024 an der Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen, Schauplatz des letzten großen NS-Verbrechens in Köln. Im April 1945, während die Amerikaner die linksrheinischen Stadtviertel schon befreit hatten, ermordeten lokale NSDAP-Funktionäre, Volkssturmmänner und Hitlerjungen bei der Räumung des sogenannten Krankensammellagers im Gremberger Wäldchen zahlreiche dort ausharrende ausländische Zwangsarbeiter. Zwei führende Protagonisten der prorussischen Proteste sind zwischenzeitlich nach St. Petersburg geflohen, um einer Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Dennoch muss auch zum 80. Jahrestag des Kriegsendes im Mai 2025 mit Vereinnahmungen der NS-Opfer für rechtsextreme und prorussische Propaganda gerechnet werden.

Die aus der Sowjetunion stammenden jungen Frauen und Männer, unter ihnen sehr viele aus dem Gebiet der heutigen Ukraine, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt wurden, werden rückblickend zu russischen Opfern erklärt und für die gegenwärtige Kriegspropaganda vereinnahmt. Tatsächlich sind jedoch zahlreiche dieser heute hochbetagten Menschen und ihre Familien in der Ukraine tagtäglich von russischen Bomben und Raketen bedroht und leiden unter der schwierigen Versorgungslage. Andere sind durch die Angriffe gewaltsam ums Leben gebracht worden – wie der ehemalige Buchenwald-Häftling Boris Romantschenko.

Das NS-DOK steht wie die Gedenkstätte Buchenwald und andere Gedenkstätten seit den 1990er Jahren mit vielen ehemaligen NS-Verfolgten und ihren Familien in der Ukraine in Kontakt. Um sie zu unterstützen, entstand bereits im März 2022 das „Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine“. Wenngleich die Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine in der deutschen Öffentlichkeit nachgelassen hat, wird Hilfe weiterhin dringend benötigt. Hilfe benötigen aber auch die oft selbstorganisierten Erinnerungsorte an den Holocaust, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in der Ukraine entstanden. Dies gilt etwa für das 2009 gegründete Holocaustmuseum in Odessa, getragen von einer regionalen Vereinigung jüdischer Überlebender, deren Vorsitzenden Roman Shvartsman wir kürzlich im NS-DOK kennenlernen durften. Bei der Kölner Museumsnacht am heutigen Samstag haben Sie im NS-DOK die Möglichkeit, sich über die Arbeit des Hilfsnetzwerks und das Museum in Odessa zu informieren und sie zu unterstützen.

Veröffentlichung mit Dank an den Kölner Stadtanzeiger, der die Kolumne veröffentlicht.

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